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Jean-Luc Kirmann und Thomas Brendler sind verantwortlich für das Produktmanagement im Bereich der E-Mobilität und neue Energieanwendungen, insbesondere in Bezug auf Kühlwassersysteme. Sie erklären, warum die Corona-Pandemie einen großen Einfluss auf unsere Mobilität hat.
Der Anteil von Elektrofahrzeugen in Europa und China stieg im Jahr 2020 an. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Jean-Luc Kirman (JLK): Der Anstieg ist klar und deutlich. Die Zahl der weltweit produzierten Batterie-Elektrofahrzeuge (BEV) wuchs 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 27 Prozent. Dies ist umso bemerkenswerter, da die Produktionszahlen von PKW mit Verbrennungsmotor im gleichen Zeitraum um 20 Prozent sanken.
Thomas Brendler (TB): Wenn wir nur Europa betrachten, liegt die Zunahme der BEV-Produktion bei 105 Prozent. Wir müssen jedoch berücksichtigen, dass der Ausgangswert für BEV viel geringer ist.
Könnte dies also eine kurzlebige Entwicklung sein?
JLK: Nein – der Anteil von Elektrofahrzeugen wird voraussichtlich weiter wachsen. Zufolge wird erwartet, dass die Zahl der BEV global weiter steigen werden, ganz deutlich in 2021 mit 50 Prozent mehr als im Vorjahr. Für 2022 wird ein Wachstum von voraussichtlich rund 40 Prozent erwartet und für 2023 rund 30 Prozent. Derartige Wachstumsraten haben wir nie zuvor gesehen.
Hoffentlich haben wir bei der Pandemie in gesundheitlicher Hinsicht das Schlimmste hinter uns und die Einschränkungen im Privatleben und in der Wirtschaft werden weniger. Bei der Mobilität wird es jedoch keinen Weg zurück zu einem alten Normalzustand geben.
Auf welche Art und Weise beeinflusst die Corona-Pandemie Ihrer Meinung nach die Transformation in Richtung Elektromobilität?
TB: Während der Krise erhöhten viele Länder Kauf-Prämien für Elektrofahrzeuge, insbesondere in Europa. Diese Subventionen zielten darauf, die Wirtschaft nach dem coronabedingten Einbruch anzukurbeln. Erst vor kurzem verpflichtete sich die neue US-Regierung, die Steuererleichterungen für Elektrofahrzeuge zu verlängern.
JLK: Wir sehen auch eine andere, ganzheitlichere Veränderung in Industriegesellschaften. Viele Verbraucher:innen haben ihre Haltung geändert. Sie beschäftigen sich mehr mit der Umwelt, mit Nachhaltigkeit im Allgemeinen und damit, welche Auswirkungen ihr eigenes Verhalten und ihr Verbrauch auf die Welt und das Klima haben. Diese Veränderung ist nicht neu, jedoch hat die Pandemie als eine Art Katalysator gewirkt: Viele Menschen stellen die Art und Weise, wie wir leben, stärker infrage. Sie denken nun mehr über die Dinge nach, die vorher nicht im Vordergrund standen.
TB: Die individuelle Mobilität hat sich 2020 sichtbar verändert. Menschen reisten weniger, legten kürzere Strecken zurück und es gab monatelang praktisch keine Fernreisen. Außerdem tauschten viele Büroangestellte ihr tägliches Pendeln gegen das Homeoffice. Ich persönlich habe auch zunehmende Zweifel am Carsharing und öffentlichen Verkehrsmitteln beobachtet – zwei Alternativen neben der Elektromobilität, um den Verkehr umweltfreundlicher zu machen. In den Zeiten von Corona legen die Menschen mehr Wert auf ihre Unabhängigkeit und wollen in der Lage sein, physischen Abstand zwischen sich selbst und anderen zu schaffen.
Wie handeln Automobilhersteller in dieser Zeit der Transformation?
TB: Aus meiner Sicht fokussieren sie sich stärker auf Elektromobilität als die Zukunftstechnologie für emissionssparenden Transport und Mobilität. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie haben die Automobilindustrie weltweit hart getroffen. Mehrere große Automobilhersteller haben angekündigt, dass sie in 20 oder sogar schon 10 Jahren ein ausschließlich elektrisches Portfolio haben werden. Dass sie die Zukunft in der E-Mobilität sehen, ist nicht neu, aber sie engagieren sich noch mehr, diese Zukunft viel früher Wirklichkeit werden zu lassen.
JLK: Emissionsnormen sind in den letzten Jahren so viel strenger geworden. Die Regelungen gelten jeweils für die Flotten eines Autoherstellers. Automobilhersteller wollen CO2-Emissionen ihrer Flotten reduzieren, da sie natürlich keine Bußgelder zahlen wollen. Somit nehmen sie mehr und mehr Plug-in-Hybridfahrzeuge und BEV in ihre Flotten auf, um die Gesamt-CO2-Emissionen zu reduzieren.
Einige Kritiker sagen, dass Elektroautos zwar eine tolle Sache seien, aber nicht praktikabel zu nutzen, da es nicht genügend Ladestationen gibt.
TB: Dies hat sich sehr verändert und das Bild unterscheidet sich weltweit sehr. In Ländern, in denen die Regierung stark investiert, ist die Lade-Infrastruktur den Kinderschuhen entwachsen. In anderen Ländern stimmt es schon, dass die heutige Lade-Infrastruktur zu einem großen Teil aus privaten Wallboxen besteht. Wenn die rasche Ausbreitung von Ladestationen jedoch so weitergeht – und sich vor allem die Schnelllade-Stationen weiterentwickeln – kann die Infrastruktur problemlos mit der steigenden Zahl der Elektroautos Schritt halten.
JLK: Ich möchte den Aspekt betonen, den Thomas hinsichtlich der Unabhängigkeit genannt hat. Aus meiner Sicht gibt es einige Trends in Richtung Unabhängigkeit auf einer wirtschaftlichen und technologischen Ebene. Zwar ist die Globalisierung nach wie vor ein entscheidender Treiber, aber gewisse Produktionen verlagern sich derzeit. Ein Beispiel dafür ist die Batterieproduktion, die lange vor allem in Korea und China angesiedelt war. Seit kurzem unternimmt Europa Anstrengungen, Fabriken für Batteriezellen anzusiedeln; in Deutschland und Schweden werden große Produktionskapazitäten aufgebaut.
Im Durchschnitt sind Elektroautos teurer als Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor – zu teuer für Durchschnittshaushalte?
TB: Bei allen neuen Technologien gibt es einen Kreislauf: An erster Stelle stehen die Entwicklung und Konstruktion. Dann folgt die Industrialisierung, was die Einrichtung von Fabriklayouts, Prozessen, Maschinen und natürlich auch die Kompetenz umfasst. All dies steht im Zusammenhang mit Investitionen und schlägt sich auf den Marktpreis nieder. In der nächsten Phase läuft die Produktion mit höheren Kapazitäten, die schließlich zu geringeren Produktionskosten führen. In der E-Mobilität sehen wir zudem technologische Errungenschaften, die sich positiv auf die Kosten auswirken: Neue Funktionen von Batteriezellen verändern die Parameter von Batterien, zum Beispiel in Bezug auf die Temperaturentwicklung. Ich persönlich denke, dass die nächste Generation von Elektrofahrzeugen sich kostenmäßig in ähnlichen Sphären wie die Verbrenner bewegen wird – oder sie sogar noch günstiger werden.