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Die Aktionärshauptversammlung ist das höchste Gremium einer Aktiengesellschaft. Genauso wie die Mitglieder in einem Verein haben ebenfalls die Aktionäre einer unternehmerischen Gesellschaft einmal im Jahr das Recht, über die Leistungen von Vorstand und Aufsichtsrat im abgelaufenen Geschäftsjahr abzustimmen und sie entweder zu entlasten – oder eben auch nicht. Wesentliche Pläne für die Zukunft hängen genauso von ihren Stimmen ab. Warum die Vorgänge auf einer Hauptversammlung auf den Gründungsgeist einiger Sportvereine zurückgehen und welche zentrale Rolle in diesem Jahr bei der NORMA Group drei Kolleginnen spielten, die gar nicht zum Vorbereitungs-Team gehören, davon handelt dieser Text.
„Wow, das ist aber mal eine exklusive Veranstaltung“, dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf, als meine Vorgängerin mich im Februar über die wichtigsten Abläufe informierte. Zu der Zeit war sie noch bei der NORMA Group und ich noch nicht – so führten wir eines Nachmittags eine mündliche Übergabe durch. Eine so besondere Hauptversammlung mit nur 50 bis 70 externen Teilnehmenden hatte ich noch nie erlebt. Dass dies ein echtes Team-Event ist, bei dem den Kolleginnen am Empfang in Maintal und unserer allseits geschätzte Reinigungsfachkraft eine tragende Rolle zukommen würde, konnte ich in diesem Moment noch nicht ahnen – doch dazu später mehr.
Das Organisationsteam Sebastian Lehmann, Dr. Charlotte Brigitte Looß, Ivana Blazanovic (von links nach rechts)
Eine besondere Tradition in Deutschland
Bis dahin hatte ich nicht gewusst, dass man Hauptversammlungen in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main durchführen kann. Seit 25 Jahren begleite und organisiere ich solche Aktionärsversammlungen börsennotierter Unternehmen. Der exotischste Ort dafür ist für mich die Dressurhalle von Hagenbecks Tierpark in Hamburg, in die ein Technologieunternehmen um die Jahrtausendwende eingeladen hatte. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern hat die Hauptversammlung in Deutschland eine besondere Bedeutung – für manche Menschen stellt sie ein regelrechtes glamouröses Event dar. Wohingegen es sich in anderen Ländern eher um eine rein administrativ-technische Angelegenheit handelt.
Das hat den Hintergrund, dass die demokratische Struktur der Aktionärsversammlung in Deutschland eng an die Organisationsstruktur der Mitgliederversammlungen von Vereinen angelehnt ist. Mitte des 19. Jahrhunderts, kurz nach der Niederschlagung der großen deutschen Demokratiebewegung, zogen sich die Bürgerinnen und Bürger ins Private zurück. Sie gründeten Vereine, vor allem Sportvereine, in denen sie ihre Sehnsucht nach einem demokratischen Miteinander verwirklichen wollten. Gleichheit, Gerechtigkeit und die nationale Einheit standen im Mittelpunkt, um der Willkürherrschaft lokaler Kleinfürsten ein Ende zu bereiten. Zahlreiche Vereinsnamen wie „Eintracht Frankfurt“, „Arminia Bielefeld“ oder „1860 München“ zeugen noch heute von dieser Zeit.
Beaufsichtigen den Eingang: Holger Löhr und Dan Ochs (von links nach rechts)
Dieser Gründungsgeist ist nie ganz verloren gegangen und übertrug sich auf die Vorstellung, wie gemeinschaftliche Unternehmen zu führen sind. Deshalb weht bis heute auch durch die Aktionärsdemokratie noch ein Hauch von Revolution.
Konsens und Kompromiss stehen im Vordergrund
Wie 2019, als ich als Journalistin an der Hauptversammlung eines großen deutschen Unternehmens teilnahm. Diese füllte in Frankfurt die Festhalle, in der sonst internationale Rockbands auftreten. Alles rechnete an dem Tag damit, dass zu seinem Ende der Aufsichtsratsvorsitzende aus dem Amt ausgeschieden sein würde – entweder freiwillig oder unfreiwillig. Man ging davon aus, dass die demokratischen Kräfte unter den Aktionären die Sache schon richten würden, was aber nicht geschah, weil eine Hauptversammlung nur ganz selten so funktioniert.
Für Unternehmen ist Kontinuität sehr wichtig, unvorhergesehene Ereignisse können den Betriebsablauf empfindlich stören. Es wäre daher nicht sehr klug, würden Vorstand und Aufsichtsrat sich vor der Versammlung nicht ein Bild über die aktuellen Mehrheiten gemacht haben. Ist das undemokratisch? Nun, Demokratie lebt nun mal von Konsens und Kompromiss.
Deshalb nimmt eine Unternehmensleitung vor dem Treffen die aktuelle Stimmungslage unter die Lupe und versucht, etwaige Befindlichkeiten von vornherein aus dem Weg zu räumen. Richtig brenzlig wird es erst, wenn es bereits vor der Hauptversammlung zu öffentlichen Willensbekundungen einzelner Aktionäre oder gar Kampagnen gekommen ist. Trotz allem kann niemand das Abstimmungsergebnis exakt vorhersagen. Meinungen können sich ändern, sogar während der Versammlung. Deshalb kommt der Generaldebatte eine hohe Bedeutung zu.
Nadine Leonhardi und Heiko Klotz nehmen die Wortmeldekarten entgegen
Bei der NORMA Group hätte ein Papierfetzen zum Verhängnis werden können
Die hier beschriebenen Mechanismen greifen ebenso bei der NORMA Group. Hier haben sich Vorstand und Aufsichtsrat ebenfalls gemeinsam mit den entsprechenden Fachabteilungen lange vor dem Aktionärstreffen ein Bild von der aktuellen Stimmungslage gemacht. Ein 30-köpfiges Team hat bereits Wochen zuvor mögliche Fragen und deren Beantwortung überlegt. Am Veranstaltungstag selbst sorgt ein Team aus verschiedenen Fachabteilungen für den reibungslosen Ablauf.
Tritt hier ein Fehler auf, besteht die Gefahr, dass ein Aktionär oder eine Aktionärin die Gültigkeit der Versammlung anficht, die dann wiederholt werden müsste. Eine Reihe von Fachexpertinnen und -experten sitzt im Backoffice, um den Vorstand bei der Beantwortung der Aktionärsfragen zu unterstützen. Denn die unvollständige Beantwortung kann zu Protokoll gegeben und als Grundlage für gerichtliche Auseinandersetzungen genommen werden.
Empfangen die Aktionärinnen und Aktionäre: Leah Gichiriri, Julia Bergmann und Miriam Reith (von links nach rechts)
Der Teufel steckt jedoch im Detail und so gab es einen Vorfall, der die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptversammlung schon drei Wochen vor ihrem Stattfinden gefährdete. Es geht um die wenigen, noch per Post eingetroffenen Anmeldebögen. Wenn sich jemand zur Hauptversammlung anmeldet, heißt das nicht unbedingt, dass die Person tatsächlich persönlich teilnehmen möchte. Viele melden nur ihre Aktien an, damit die daraus resultierenden Stimmrechte ausgeübt werden. Dazu übertragen sie sie samt inhaltlicher Weisung auf festgelegte Stimmrechtsvertreter.
Beim Öffnen eines dieser Briefe hatte nun aber die Maschine den Abstimmungsbogen beschädigt, ausgerechnet die Weisung über die Entlastung des Aufsichtsratsvorsitzenden war herausgetrennt worden. Und zwar so sauber, dass dies zunächst gar nicht auffiel. Bis der Schaden bemerkt wurde, war der herausgetrennte Papierschnipsel längst im Mülleimer und dann im Container gelandet. Schließlich ist Sauberkeit am Arbeitsplatz bei der NORMA Group oberstes Gebot!
Haben tatkräftig zum Gelingen der Hauptversammlung beigetragen: Katrin Kaiser und Pascale Neuhaus (von links nach rechts)
Nun ist es jedoch so, dass die Stimmrechtsvertreter die Weisung, wie sie abstimmen sollen, dringend benötigen. Der weisungsgebende Aktionär oder, wie in diesem Fall, die Aktionärin kann einen Nachweis verlangen, ob die Stimmrechte ordnungsgemäß ausgeübt wurden. Also holte unsere Reinigungskraft den Müll aus dem Container zurück und wühlte sich gemeinsam mit den Kolleginnen vom Empfang durch den übervollen Beutel. Bis sie den kleinen Streifen mit dem Kreuzchen bei „Entlastung“ fanden. Hier zeigte sich wahrhaft gelebte Firmenkultur und echter Teamgeist! Belohnt wurde dieser mit einem überwältigenden Abstimmungsergebnis von deutlich über 90 Prozent in allen Tagesordnungspunkten.
Ja, inzwischen kann ich es bestätigen: Die Hauptversammlung der NORMA Group ist eine exklusive Veranstaltung. Und eine echte Teamleistung noch dazu!
Impressionen zur diesjährigen Hauptversammlung sind hier zu finden: